Exkurs: Inhalte der Selbsterfahrung

Wechseln Sie mal die Perspektive:

In diesem Text beschreibt ein Selbsterfahrungsleiter Inhalt und Struktur der Selbsterfahrung – und stellt diesen Teil der Ausbildung aus der Sicht eines Lehrenden dar.

Ausbildung: Teaching und Reflexion

Die Vermittlung von psychotherapeutischem Wissen findet in der Ausbildung in der Regel auf min­destens zwei Ebenen statt: Zum einen geht es um das sogenannte Therapie-Teaching (Störungswis­sen, schulenspezifische Techniken, spezifische und übergreifende Methoden usw.), zum anderen um die Reflexion bezüglich der fachli­chen Kompetenzen, der interaktions­bezogenen Komponenten und schließlich der Identität. Die Grund­lagen- und die Metaebene stehen im gesamten Ausbildungsverlauf in ei­nem rekursiven Verhältnis zueinan­der und finden in der Regel auch in einem zeitlichen, inhaltlichen und methodischen Zusammenhang statt.

Reflexion – Betrachtung der therapeutischen Arbeit

Das Gemeinsame des Ausbildungs­teils auf der Reflexionsebene ist die Betrachtung der (therapeutischen) Arbeit. Dabei liegen die Schwer­punkte entweder auf dem technisch-methodischen Fokus (Supervision), auf den interindividuellen Abläufen (der interaktionsbezogenen Fallarbeit) und schließlich, in der Selbsterfah­rung, auf der Beobachtung der in­traindividuellen Zustände und Pro­zesse. Natürlich überschneiden sich diese Schwerpunkte und ergeben so sowohl paarweise als auch gemeinsa­me Schnittmengen. Der Betrachtungsvorgang selbst läuft in allen Fällen in Form von Reflexionen ab, wobei die Prozesse der Handlungsebene (z. B. das Verhalten des*der Therapeut*in) auf einer Metae­bene (z. B. durch den*die Supervisor*in) reflektiert werden. Aus der Perspektive der Selbsterfahrung bildet der „gemeinsame Nenner“ der Bereiche auf der Metaebene einen zentralen Aspekt von Psychotherapie ab, nämlich die – nur sprachlich begabten Systemen mögliche – Fähigkeit zur Selbstreflexion.

Integration der Selbsterfahrung in die Ausbildung

In der AVT hat sich ein Team aus Selbsterfahrungsleiter*innen zu einer regelmäßigen Konferenz zusammengefunden, in der über die Art und Weise der Umsetzung dieses Ausbildungsteils diskutiert wird. Da das Thema Selbsterfahrung genuin nicht in der Verhaltenstherapie implizit war, gab es auch kein allgemeines spezielles Konzept für standardisiertes Vorgehen. Es erscheint auch wenig sinnvoll, hierbei manualgeleitet vorzugehen, da zum einen die VT – und damit verhaltenstherapeutische Methoden und Techniken – sich ständig weiterentwickelt, andererseits auch die Selbsterfahrungsleiter*innen ihre Vorgehensweisen aus unterschiedlichen therapeutischen Ansätzen heraus entwickelt haben. Ohne Frage ist es allerdings unverzichtbar, sich auf einen gemeinsamen Nenner festzulegen und diesen auch an verhaltenstherapeutischen Grundlagen und -gedanken zu orientieren.

Grundlage ist dabei eine „Zielorientierte Selbstreflexion“ (Kanfer)‏, die sowohl Person-orientiert als auch Berufs-(Therapeut*innen-)orientiert ist.

Ziele der Selbsterfahrung

Da wir Therapeut*innen als Personen ein wesentlicher Teil des therapeutischen Settings sind, können als Ziele der Selbsterfahrung gelten:

  • Personale Kompetenzen
  • Methodenkompetenz
  • Ressourcenkompetenz
  • Beziehungskompetenz

Reflexion relevanter Themen

Zur Analyse, Exploration, Vertiefung und Erweiterung dieser Kompetenzen wird in der Selbsterfahrung u. a. eine Reihe von relevanten Themen reflektiert. Dazu gehören z. B.:

  • Erkennen von persönlichen Stärken und Fähigkeit, diese im therapeutischen Setting anwendbar zu machen
  • Bewusstwerdung von (erwünschten/unerwünschten) Wirkungen auf Patient*innen durch die eigene Persönlichkeit
  • Erkennen der Beeinflussbarkeit der Patient*innen (und der Therapeut*innen) und damit der Übertragungs- /Gegenübertragungsprozesse
  • Prozesse der Problemaktualisierung und Problemexposition
  • Entdecken von blinden Flecken
  • Wahrnehmung von Körpersprache und Körpergeschichte
  • Kennenlernen der Rolle von Patient*innen und der Umsetzung von therapeutischen Anwendungen „am eigenen Leibe“
  • Entdecken der eigenen impliziten Schemata (Muster), Grundhaltungen (Oberpläne), Systeme und Regeln
  • Einnahme der Transgenerationenperspektive
  • Verständnis für und Erfahrungen im Gruppensetting
  • Therapeutische Grundkompetenzen wie Empathie, Echtheit und Wertschätzung
  • (Evtl. verborgene) Motivationen zur Auswahl des Berufs (Verhaltenstherapie)

Diagnoseinstrumente und Interventionen

Dazu werden – auch in der Therapie genutzte – Diagnoseinstrumente und Interventionen angewendet, wie z. B.

  • Erstellen einer eigenen Verhaltensanalyse zur Darstellung der individuellen Lerngeschichte, Beschreibung des eigenen Verhaltens, der Werthaltungen, der Eigenschaften auf den Ebenen Kognitionen, Emotionen, Physiologie, Motorik
  • Fragebögen zu Befindlichkeiten, inter- und intraindividuellen Fertigkeiten
  • Konfrontationsübungen
  • Kompetenztrainings
  • Rollenspiele
  • Kleingruppenarbeit
  • Vermittlung von Störungswissen und Psychoedukation
  • Gruppenspezifische, -dynamische sowie systemische Anleitungen und Übungen
  • Anleitung zur Selbstfürsorge
  • Vermittlung von ethischen, therapierelevanten kulturellen und philosophischen Aspekten sowie Menschenbildern
  • Anwendung von spezifischen Methoden und Interventionen aus der Verhaltenstherapie sowie anderen Therapierichtungen
  • Supervision/Coaching

Variables Vorgehen

Das einzelne Vorgehen lässt sich nach individuellen Schwerpunkten, Vorlieben, Wissen und Können der Leiter*innen unterscheiden. Als eine weitere Variable ist die Zusammensetzung der Gruppe („Gruppengestalt“) zu berücksichtigen.

Durch dieses in unterschiedlicher Weise vermittelte Vorgehen entwickelt sich die Möglichkeit, über einen Selbstmodifikationsprozess den therapeutischen Prozess kennenzulernen und ihn als therapeutische Maßnahme nutzen zu können.

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