Interaktionelle Fallarbeit
Psychotherapeutisch tätige Ärzt*innen befinden sich in einer anderen Rolle als Ärzt*innen, die rein somatische Behandlungen durchführen.
Denn in der Psychotherapie wird neben dem rationalen Fachwissen auch das implizite Wissen der Ärzt*innen abgerufen.
Erfahrungen aus der eigenen Biografie, Lebenserfahrung und berufliche Reifung, persönliche Erwartungen an die Wirksamkeit der gewählten Interventionen sowie die Reaktion der Patient*innen spielen eine sehr viel zentralere Rolle in der Wahrnehmung und Behandlung des Gegenübers. Ihr Einfluss trägt wesentlich zum Erfolg oder Misserfolg der therapeutischen Arbeit bei.
Die notwendige Auseinandersetzung mit den eigenen Anteilen erhält mit der interaktionsbezogenen Fallarbeit (auch interaktionelle Fallarbeit oder IFA genannt) einen eigenen besonderen Raum.
Interaktionelle Fallarbeit ist quasi eine Mischform zwischen Selbsterfahrung (in der es um die eigenen Anteile geht, ohne dass die Behandlungssituation notwendigerweise Thema ist) und Supervision, in der Behandlungsplanung und Interventionsstrategien zentral sind und die eigenen Anteile und Erwartungen der Behandler*innen eher im Hintergrund stehen. Die IFA wird daher auch als „patientenzentrierte Selbsterfahrung“ bezeichnet.
Im Gruppensetting mit mehreren Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen werden schwierige Beziehungssituationen im Patientenkontakt thematisiert. Der Fokus liegt dabei auf dem moderierten interkollegialen Austausch. Hierbei wird die Fallvorstellung eines*einer Einzelnen zunächst verbal und begrifflich von der Gruppe der Teilnehmenden aufgegriffen, erste Rückmeldungen zum Verständnis der problematischen Situation werden gegeben.
In einem Folgeprozess werden dann z. B. kreative oder emotionsfokussierende Methoden gewählt, um die impliziten Annahmen und Erwartungen der jeweiligen Behandler*innen zu identifizieren und mit den geschilderten Problemlagen in Beziehung zu setzen. Ziel dieses Vorgehens ist es, die emotionale Belastung der Behandler*innen zu reduzieren, ihnen gleichzeitig neue Perspektiven für die Behandlung zu eröffnen und damit auch die therapeutische Beziehung zu entlasten.
Die interaktionelle Fallarbeit ist somit das verhaltenstherapeutische Pendant zur tiefenpsychologisch-analytisch orientierten Balintgruppe. Der Unterschied liegt vor allem in den verfahrensspezifischen Methoden zur Klärung der Beziehungssituation.