Interessant, lehrreich, arbeitsam, auch lustig
Im letzten Jahr habe ich mein klinisches Jahr in der Uniklinik in Bonn gemacht. Da war auch der Philipp, auch ein AVT-ler. Der redete über sein Praktikum in der Institutsambulanz am Barbarossaplatz. Für seine Verhältnisse (Philipp war früher bei einer Versicherung) redete er ziemlich begeistert. Also dachte ich daran, mein Praktikum auch dort zu machen. Der langen Rede kurzer Sinn: Jetzt bin ich schon etwas mehr als zwei Monate dort.
Und? Wie ist es da? Interessant, lehrreich, arbeitsam, auch lustig. Ich werde dort insgesamt ein halbes Jahr sein, zweimal in der Woche: am Dienstag und am Freitag. Jetzt erzähle ich mal, was ich an einem ganz normalen Dienstag in der Ambulanz mache.
Ein ganz normaler Dienstag in der Ambulanz
Ich betrete die Eingangshalle des Hauses Barbarossaplatz 2. Dann gehe ich an den Briefkästen vorbei und denke: „Wenn du dir den Schlüssel von oben holst, könntest du die Briefe rausholen. Wenn du dir damit etwas Zeit lässt, macht das der Hans-Dieter.” Das ist der Ambulanzleiter. Dann betrete ich die Ambulanz im sechsten Stock. Da riecht es irgendwie muffig. Das tut es immer morgens. Also: Fenster auf, Türen auf. Anschließend gehe ich durch alle Therapieräume und sehe nach, ob sie einen ordentlichen Eindruck machen. Das tun sie oft nicht. Also muss ich Sessel rücken, an Vorhängen ziehen, Schreibpapier ordentlich auf den Tisch legen. Ich kontrolliere: Sind Papiertaschentücher da? Terminzettel? Visitenkarten? Ist die Heizung richtig aufgedreht (wir haben Dezember)? Sind Flecken auf dem Teppich? Also in dieser Weise geht es von Therapieraum zu Therapieraum, dann zum Büro, dann zur Küche, dann zur Toilette. Und wenn ich so weit bin, kommt Hans-Dieter. Er hat ein paar Briefe in der Hand, die er aus dem Briefkasten geholt hat. Sehe ich in seinem Gesicht irgendeinen Vorwurf, dass ich die Briefe nicht schon selbst geholt habe? Ich glaube, nein. Aber wissen tut man es ja nie. Ihr merkt schon, ich könnte meine Arbeit in der Institutsambulanz ziemlich detailliert erzählen. Ich soll mich kürzer fassen? Okay.
Jetzt bimmelt mit Sicherheit das Telefon. Ein potenzieller Patient fragt an, ob wir noch einen freien Therapieplatz haben. Ich denke mir: „Das kommt darauf an, ob Sie eine Störung haben, die wir gerade dringend brauchen, ob Sie zu einer Zeit können, in der diese Ausbildungstherapeutin kann, die jetzt eine*n neue*n Patient*in braucht.” Vielleicht geht es samstags? Also nehme ich mir den Anmeldebogen vor und schreibe auf: Name, Telefonnummer, Versicherung und so weiter, und so weiter. Fragen stellen, Fragen beantworten – mindestens eine Viertelstunde lang. Währenddessen sehe ich, dass der Anrufbeantworter blinkt: drei Anrufe. Ich muss daran denken, dass ich die gleich abhöre. Bevor ich das tun kann, fragt Hans-Dieter: „Machen wir eine Besprechung?“ Das klingt nur wie eine Frage, ist aber eine Art Anweisung. Also, Anrufbeantworter später abhören.
Bevor wir uns zur Besprechung hinsetzen, wird Tee und Kaffee gemacht. Tassen auf den Tisch, kleine Löffel, Zucker; wir sind hier vornehm. Ich habe einen Stift in der Hand und ein Klemmbrett mit Papier vor mir. Und dann geht es schon Schlag auf Schlag. „Wie steht es mit dem Ambulanzhandbuch?“ Das ist ein Projekt, das schon einige Wochen in Arbeit ist. Darin sollen alle Fragen beantwortet werden, die in der Institutsambulanz wichtig sein könnten: Wohin mit den Mänteln der Ausbildungsteilnehmer*innen? Wie stellt man einen Therapieantrag? Wie schreibt man einen Bericht für den*die Gutachter*in der Krankenkasse? Wie macht man in der Küche heißes Wasser im Boiler? Wie trägt man Therapieleistungen in das Abrechnungsprogramm ein? Wie verhält man sich bei suizidgefährdeten Patient*innen? Wo sind die Tests? Wo sind die verschiedensten Formulare? Und so weiter. Hans-Dieter fährt täglich mit dem Fahrrad von zuhause in die Ambulanz und da fallen ihm ständig neue Fragen für das Institutshandbuch ein. Wahrscheinlich ist das der Grund, dass es noch nicht fertig ist.
Eine andere Aufgabe, die ich speziell habe: das Bedienen des Computers und der Videokameras. Man kann sich fragen, was es da Schwieriges gibt. Aber meine Aufgabe ist es, Bedienungsanleitungen so zu schreiben, dass jemand, der dafür gar keinen Sinn hat, sie in circa fünf Minuten versteht.
Und dann gibt es Gespräche in der Art: „Eine Frau hat aus der Klinik angerufen. Die will einen Therapieplatz. Können wir die nehmen?“ „Schlecht, – wer käme denn dafür in Frage?“
So viel mehr als nur ein Bürojob
An dieser Stelle meines Berichts könnte man denken, dass ich nur so eine Art Büromensch bin. Aber so ist es nicht ganz. Ich fahre zum Beispiel einmal in der Woche zu einer Patientin, die eine so schwere Agoraphobie hat, dass sie schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr aus dem Haus gehen kann. Ich mache mit ihr „konfrontative Übungen”. Die bespreche ich mit Hans-Dieter und auch mit den Therapeut*innen in Ausbildung, die um mich herum sind. Ja, die anderen Ausbildungsteilnehmer*innen muss ich natürlich auch erwähnen. Während wir bei unserer Besprechung sitzen, trudeln sie ein. Fast jeder hat eine Frage. Alles wird beantwortet und besprochen. Neben den Beratungsgesprächen kann ich auch ein soziales Kompetenztraining für die Patient*innen der Therapeut*innen in Ausbildung anbieten. Zurzeit machen das allerdings die Silvana und die Wiebke, zwei andere Praktikantinnen. Mit Silvana teile ich mir am Freitag immer das Büro, da machen wir beide mit Hans-Dieter die offene Sprechstunde mit den neuen Patient*innen und trinken natürlich Kaffee und machen viele „Besprechungen“ (ohne Hans-Dieter). Aber zurück zum Dienstag. Zu guter Letzt wird auch noch der Anrufbeantworter abgehört; zwei Anrufer*innen suchen einen Therapieplatz. Also anrufen, klären, aufschreiben.
Ein Blick auf die Uhr: halb eins. Höchste Zeit für die Mittagspause. Ein paar Menschen sitzen bereits in der Küche und diskutieren die Frage, ob sie sich etwas zu essen holen oder ob sie auswärts essen. Am Barbarossaplatz haben wir es in dieser Hinsicht leicht: Es wimmelt von Nahrungsangeboten. Es gibt chinesische Imbisse/Lokale, türkische, italienische, indisch-vegetarische, um nur einige zu nennen.
Um ein Uhr ist es am Küchentisch angenehm voll. Jeder hat etwas zum Essen vor sich. Und es wird pausenartig geredet: über Kochrezepte, übers Fernsehprogramm, über AVT-Seminare und Selbsterfahrungswochenenden, über Müdigkeit und Erkältungskrankheiten, auch über Therapieerfolge und -schwierigkeiten.
Da es Dezember ist, steht am Nachmittag die Abrechnung der Therapien aus dem 4. Quartal auf dem Programm. Dazu gibt es ein Abrechnungsprogramm mit dem euphemistischen Namen „SMARTY“. Wenn man sich aber etwas in dieses Programm eingearbeitet hat und die Abrechnungsziffern für die Therapieleistungen kennt, ist es gar nicht so schwer. Die eigentliche Abrechnung mit dem Programm macht eine Fachkraft. Meine Aufgabe ist es, die Abrechnung vorzubereiten, indem ich die Therapeut*innen daran erinnere, von ihren Patient*innen die Überweisungen einzufordern, die Karten einzulesen und die fehlenden Ziffern einzutragen. Da es durch die Mittagspause allerdings etwas später geworden ist, steht erst einmal nur die erste Erinnerungsmail an die Therapeut*innen auf dem Programm.
So geht der Tag schnell vorbei und so ist das Praktikum schnell zu Ende.